Garnisons-Krieg.

Humoreske von Teo von Torn.
in: „Garnison und Manöver” Nagel's Bibliothek, Band 13/14, Berlin, 1905


Zwischen dem selbstständigen Jäger-Bataillon und den vier Escadrons Ulanen, welche der unerforschliche Ratschluß der höheren Götter in der kleinen Garnison zusammengewürfelt hatte, herrschten jahrelang geradezu idyllische Beziehungen.

Die beiden Frau Majors waren Pensionsfreundinnen. Da sie im Range gleich standen und auch ihre Toiletten ziemlich zu gleicher Zeit, in derselben Preislage und sogar aus demselben Geschäfte kauften, war jeglicher Differenz der Boden entzogen — und die Herren Majors verstanden sich infolgedessen ausgezeichnet. Natürlich eiferten die anderen Walküren dem schönen Beispiel der Kommandeusen nach, so daß auch die Häuptlinge und verheirateten Leutnants sich gut vertrugen. Die Unverheirateten hatten überhaupt keinen Anlaß, sich zu zanken. Ganz abgesehen davon, daß unverehelichte Menschen im allgemeinen verträglicher sind als verheiratete, befanden sie sich bei dem Gottesfrieden sehr wohl; denn infolge der ungezählten Peccos betrug die Kasinorechnung am Ende eines Monats für jeglichen nur ein geringes.

Bei den Soldaten macht das gute Beispiel alles — und so war es nur selbstverständlich, daß auch der große Heerbann beider Waffen sich kameradschaftlich hielt und die Tanzböden sowie die reichlich vorhandenen Bräute friedlich und neidlos teilte.

Das ging jahrelang so. Eines Tages aber war der Herr Major von den Ulanen zum Oberstleutnant herangereift. Da bekam die Friedenspauke — soweit dieses geräuschvolle Instrument überhaupt als Symbol der Eintracht herangezogen werden darf — das erste Loch.

Während die nunmehrige Frau Oberstleutnant mit dem Übermute des glücklichen Weibes betonte, daß das Vaterland die außerordentlichen Verdienste ihres Gatten „schon längst” durch diese Beförderung hätte anerkennen müssen, erblickte Frau Major Klose von den Jägern in dem Avancement eine krasse Ungerechtigkeit gegenüber ihrem Gemahl, welcher nach seiner Anciennität sowie als „selbständiger Führer eines selbständigen Truppenteils” mindestens ebenso „dicht daran” war wie der „Herr Oberstleutnant”.

Da die hier in Gänsebeine gesetzten Worte und Wendungen mit besonders spitzer Betonung gesprochen wurden, war die Freundschaft natürlich aus. Die Frau Oberstleutnant betrachtete das Auftreten der Frau Major ihr gegenüber als eine Insubordination sondergleichen — und wer weiß, zu welchen Verwicklungen es noch gekommen wäre, wenn mit der Beförderung nicht auch gleich die Versetzung des Oberstleutnants in eine andere Garnison erfolgt wäre.

Man schied kalten Herzens. Frau Major Klose machte sich sogar in intimerem Kreise den billigen Triumph, zu erklären, daß die Versetzung — Oberstleutnants mußten nämlich nach einer ungeahnten Gegend Ostpreußens — ein Akt ausgleichender Gerechtigkeit sei.

Aber sie lockte zu früh.

*           *           *

Gleich am Tage, nachdem der neue Ulanenkommandeur, Graf von Vahlen, zugezogen war, kam der Major Emmerich Klose in sehr unfreundlicher Stimmung nach Hause. Weder der zärtliche Willkomm seiner Gattin, noch der fast ebenso zärtliche Gänsebratenduft, welcher ihm schmeichlerisch aus der Küche entgegen wehte, vermochten seine umdüsterte Stirn aufzuheitern.

„Aber Emmerich — was ist denn mit Dir!” klagte die Frau Major schließlich mit gerungenen Händen, nachdem ihr Gemahl mit schlenkerndem Säbel alle Ecken des Wohnzimmer ausgefegt.

„Was mir ist! Was soll mir sein! Gar nichts ist mir! Nichts — als daß wir aus dem Regen in die Traufe gekommen sind!” fauchte der Bataillonschef, ohne seinen wilden Spaziergang zu unterbrechen.

„Aber so sprich doch, Emmerich! In welcher Beziehung denn!?” rief sie angstvoll und tanzte vor dem Gatten her, teils um ihn aufzuhalten, teils auch, um alle minder festen Gegenstände aus dem Bereich seiner Gestikulation zu bringen. Ein Klavierlicht hatte schon dran glauben müssen.

„Na, in freundlicher Beziehung nicht, mein Kind! Das kannst Du mir glauben! Wenn man aus dem Regen in die Traufe kommt, so ist das nie etwas Gutes! So ein Kanake! So ein dicknäsiger Adelsprotz! So ein — — —”

Hier ging dem Major die Luft aus, und er ließ sich auf einen Stuhl fallen, daß dieser knackte. Die Frau ergriff den Gatten schnell an beiden Schultern, damit er ihr nicht wieder auskommen konnte, und fragte atemlos zwischen Sorge und zitternder Neugier:

„Also mit den Vahlens hängt das zusammen?!”

„Mit den Vahlens!” lachte der Major grimmig. „Wie Du so despektierlich daherreden kannst! Mit dem Herrn Grafen von Vahlen! Graf ist der Mann, Kindchen! Und wir sind nur ganz gewöhnliche Mitteleuropäer, welche nach Herzenslust geärgert werden dürfen.”

„Na, das wollen wir doch erst mal sehen, Emmerich,” erwiderte die Frau Major mit einer Energie und Kampfbereitschaft, welche eine gewisse kalmierende Wirkung auf den geärgerten Hausherrn nicht verfehlte. Er fühlte sich nun etwas stärker und daher auch beruhigter.

„Ist es zu glauben, Frau —” sagte er, indem er sich erhob und endlich sein Schwert ablegte. „Dieser Mensch ist kaum da — — für uns ist er überhaupt noch nicht da, weil er doch noch keinen Besuch gemacht hat! — — Er benutzt also den ersten Ausritt nach seiner Kaserne, um fünf meiner Leute zur Bestrafung einzugeben. Gleich fünf — unter dem tut's der Mann nicht. Wo ich kaum alle vierzehn Tage in die Notwendigkeit komme, einen zu bestrafen. Die Leute sollen, als der Herr Graf vorbeigeritten ist, neugierig im Fenster gelegen und sich nicht stramm genug aufgestellt haben. Was blieb mir übrig? Ich verbeiße zunächst meinen Ärger und bestrafe die Leute — einige meiner besten Leute, die sich bisher tadellos geführt haben. Jeder kriegt seine vierundzwanzig Stunden stramm auf die Badehosen. Aber es hat mich doch zu sehr gewurmt. Nachdem ich dann noch auf dem Bataillonsbureau so verschiedene andere Geschichten erfahren, welche für die späteren Beziehungen der beiden Truppenteile sehr vielversprechend sind, entschließe ich mich auf dem Nachhausewege zu einem Umwege an der Ulanenbaracke vorbei. Seit Du Dich — — das heißt, ich meine seit wir uns mit Oberleutnants erzürnt haben, sind die Kerls auffällig flätzig geworden. Also ich denke mir, wirst mal sehen — Gnade Gott, wenn — — —”

„Sehr richtig, Emmerich! Sehr richtig! Wurst wider Wurst. Na und — —!” fragte die Frau Major hastig, indem sie ordentlich aufgeregt die Hände ineinanderpreßte.

„Weißt Du, was passiert ist!?” fuhr der Major mit dramatisch bewegter Stimme fort. „Die Baracke ist bekanntlich einstöckig, dafür aber sehr lang. Außer der Wache sehe ich keinen Menschen. Der Kerl salutiert tadellos. Kaum aber nähere ich mich dem ersten Fenster — — rrrrping — saust die Jalousie herunter; beim zweiten Fenster — — rrrrping die Jalousie, beim dritten Fenster — rrrrping und so immer rrrrping vierundzwanzig Fenster Front — lauter niederrasselnde Jalousien!”

„Un—er—hööört!”

„Allerdings. Ich schließlich hinein in die Baracke, um diesen Affront sofort festzunageln. Wer tritt mir mit einem niederträchtigen Banditenschmunzeln entgegen? Der Herr Graf in höchsteigener Person. Ich kriege vor Wut kaum raus, was ich zu sagen habe — und was meinst Du, was er erwidert? Aber lieber Herr Kamerad, ich begreife Ihre Erregung nicht. Sie sind eben gerade mit der Mittagssonne gekommen. Ein unglückliches Zusammentreffen, weiter nichts. Wenn Sie uns morgens oder abends das Vergnügen machen, so werden Sie die Jalousien offen finden und an jedem Mannschaftsfenster feststellen können, daß meine Leute tadellos militärisch erzogen sind!”

Frau Major Klose rang mit einer Ohnmacht — teils dieserhalb, teils auch weil das Dienstmädchen eben mit der Meldung hereinstürzte, daß der Gänsebraten angebrannt sei.

*           *           *

Drei nachdenkliche Tage und ebensoviel kummervolle Nächte brauchte Frau Major Klose, um über das Schreckliche hinwegzukommen und einen Gegenschlag auszuhecken. Gereizte Frauen sind fürchterlich raffiniert in solchen Dingen. Die venetianische Bleikammer — ich meine die mit der beweglichen Decke — soll die Erfindung eines rachsüchtigen Weibes sein. Solche drastischen Mittel wären ja bei der neuzeitlichen Verfeinerung der Sitten nicht mehr anwendbar. Aber die Frau Major hatte sich auch sehr was Schönes ausgedacht.

Die Vahlens hatten von Oberstleutnants einen Burschen übernommen — eine wahre Perle seines vielverlästerten Berufs. Er war sauber, tüchtig, relativ gebildet und für die frisch zugezogene gräfliche Familie besonders deshalb von hohem Werte, weil er im Städtchen und auch sonst mit allem Bescheid wußte. Dieser Bursche, welcher wie die meisten Burschen auf den Namen Fritz hörte, unterhielt seit langem schon gänzlich uneigennützige zärtliche Beziehungen zu Major Kloses Marie. Dem Mädchen war dieser Umgang mach der Entfremdung der einst befreundeten Waffen zwar verboten worden — aber was fragt die Liebe nach dem Hader dieser Welt! Die Liebe ist sogar imstande, einen sonst tüchtigen und gewissenhaften Soldaten zu einer eklatanten Urlaubs­überschreitung und anderen ähnlichen Missetaten zu verführen. Etwas dergleichen ließ Fritze sich unter den lauernden Augen der Frau Major Klose zu schulden kommen. Major Klose erstattete Anzeige, und dem Ulanenkommandeur blieb nichts anderes übrig, als seine Perle von einem Burschen auf drei Tage zu „fassen”.

Nur wer da weiß, was es heißt, einen Menschen einsperren zu müssen, den man braucht wie das tägliche Brot, wird den Triumph der Frau Major begreifen. Und sie entschloß sich, diesen Triumph noch persönlich auszukosten. Man hatte zwar beschlossen, die inzwischen erfolge Antrittsvisite des gräflichen Paares erst nach der äußerst zulässigen Zeitgrenze zu erwidern — aber davon sah die Frau Major unter diesen Umständen ab. Da ihr Gemahl just ein paar Tage dienstlich verreisen mußte, machte sie aus der Boshaftigkeit eine Liebenswürdigkeit und erwiderte den Besuch provisorisch allein.

Sie schwebte ordentlich die Treppen hinan, im Vorgeschmack des Genusses der sauersüßen Gesichter — und ihr inneres Behagen vertiefte sich noch, als ihr die Tür durch einen unsagbar blöden Stoffel von Ersatzburschen geöffnet wurde.

„Die Herrschaften zuhause?”

„Jewoll —” knurrte der Kaschube.

„So geben Sie diese Karte ab — ich möchte den Herrschaften meine Aufwartung machen.”

„Uffwartung? Brauchen wer nich. Haben sich heite schon drei gemeldet. Besorg' ick mit'n Mächen allens alleene.”

Sprach's und schloß die Tür.

*           *           *

Am nächsten Tage erhielt Frau Major Klose folgenden Schreibebrief:

„Hochgeehrte gnädige Frau! Wir sind untröstlich über das peinliche Mißverständnis von gestern. Aber Schuld daran ist nur, daß ich in die Notwendigkeit versetzt wurde, meinen gutgeschulten Burschen einzusperren. Den Grund kennen Sie, gnädige Frau! Mit dem Ausdruck lebhaften Bedauerns Ihr verehrungsvoll ergebener

Graf Vahlen.”

Seither liegt die Frau Major ihrem Gatten in den Ohren, sich versetzen zu lassen — — und sei es auch nach der ungeahntesten Gegend Ostpreußens.

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